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Er kommt und geht seit 6 Jahren

latraviata
@Begonie @Mietzimaus Ja, das kann ich so unterstreichen. Vor allem auch die Kombination mit dem eigentlichen Bedürfnis nach Nähe. Ich weiß nicht, ob das nicht sogar sehr stark dazugehört. Bindungsängstlichkeit entsteht ja häufig durch unsichere Bindungs- oder Verlusterfahrungen in früherer Zeit. Und da gehört die Bindungssehnsucht für mich fast automatisch dazu.

Und als Ergänzung noch zu dem was Begonie geschrieben hat: Bindungsängstliche können auch wahnsinnig viel in Beziehungen investieren, die nicht viel Perspektive haben. Dann suchen sie sich also Menschen, die entweder selbst gebunden sind oder sonstwie nicht wirklich verfügbar.

18.11.2019 12:17 • #136


B
Zitat von latraviata:
Und als Ergänzung noch zu dem was Begonie geschrieben hat: Bindungsängstliche können auch wahnsinnig viel in Beziehungen investieren, die nicht viel Perspektive haben. Dann suchen sie sich also Menschen, die entweder selbst gebunden sind oder sonstwie nicht wirklich verfügbar.


Kann ich nur bestätigen. War selbst von der Sorte. Wollte mich einer, entzog ich mich, hatte keine Zeit mehr, rief nicht mehr an. Typ Erdmännchen, das schwupps in seinem Bau verschwand und in Deckung blieb.
Bis der Typ kapiert hatte, dass ich ihn ja gar nicht wollte, wo ich doch anfangs so nett zu ihm war und womöglich Erwartungen geweckt hatte..

Hatte ich aber ein Auge auf einen Mann geworfen, der erkennbar kaum Interesse an mir hatte, mutierte ich zum Hindernisläufer. Wollen wir doch mal sehen, ob ich den tatsächlich nicht bekomme? Aus der Gejagten wurde die Jägerin, eine Rolle, die ich weitaus besser aushielt. Denn es gab ja gar keine Beziehung. Also konnte ich ja gefahrlos hinterher laufen!

Leider bin ich auch von der Sorte der Bindungsängstlichen, aber ich verstand es lange Zeit nicht. Ich erkannte die Mechanismen nicht und schon gar nicht, worunter ich eigentlich litt.
Erst nach meiner Affäre begann ich dort zu suchen, wo ich schon früher hätte suchen sollen. Bei mir selbst. Einiges wurde mir klar, anderes wahrscheinlich nicht. Meine Bindungsängste finden ihren Grund bereits in der Kindheit und ich lebte immer genau das nach, was ich mir abgeschaut hatte.

Es ist schwer, da rauszukommen und ob ich geheilt bin, bezweifle ich eher. Dennoch bin ich seit einigen Jahren in der Lage, eine Beziehung zu führen die diesen Namen auch verdient. Offenbar ist doch einiges besser geworden und ich fühle mich auch nicht mehr so leicht eingesperrt und belästigt.

Ein Bindungsängstlicher kommt selten allein, denn er sucht sich unbewusst meist Jemanden, der ähnlich gestrickt ist, aber dennoch die entgegen gesetzte Position einnimmt. Ein aktiver Bindungsvermeider landet zwangsläufig beim passiven und umgekehrt. Und je nach Partner können Bindungsängstliche in einer Beziehung den passiven Part übernehmen, in einer anderen den aktiven. Chamäleons, die sich anpassen.

Mein Ex. übernahm in Beziehungen immer die aktive Rolle. ER bestimmte über Nähe und Distanz und über das, was er mir zuteilte. Und ER trennte sich dann auch. Denn der aktive Part behält gern die Kontrolle und gibt seine Machtposition nicht auf.

Mein Ex. hatte ja ein halbes Jahr nach mir (oder vielleicht schon vorher) wieder eine Neue. Möglicherweise hat er sogar geheiratet, denn irgendwann sah ich einen goldenen Ring am rechten Ringfinger. Sollte er jetzt auf einmal bindungsfähig sein oder dachte er sich, dass er mit annähernd 50 jetzt doch mal heiraten sollte?
Ich weiß es nicht, ich weiß auch nicht, ob die Beziehung noch besteht und es ist mir auch egal. Ich bin heute noch froh und erleichtert, dass es vorbei ist! Es war zeitweise eine emotionale Hölle, aus der ich mich nicht lösen konnte.

Die eigenen Abgründe sind doch oft bemerkenswert, wenn man sie im Nachhinein ansieht.

Begonie

18.11.2019 12:51 • x 2 #137


A


Er kommt und geht seit 6 Jahren

x 3


latraviata
Zitat von Begonie:

Ein Bindungsängstlicher kommt selten allein, denn er sucht sich unbewusst meist Jemanden, der ähnlich gestrickt ist, aber dennoch die entgegen gesetzte Position einnimmt.


Ja, habe gestern in einem anderen Thread daran gedacht, als es um jemanden ging, der während seiner Ehe eine Affäre hatte. Er triggert hier natürlich einige - aber ich dachte: das ist eigentlich eine super Chance, sich mit jemandem von der scheinbar anderen Seite auseinanderzusetzen und zu gucken: gibt es ähnliche Strukturen bei denen die betrügen und bei denen die betrogen werden. Für mich der Weg zu Weiterentwicklung. Und auch der Weg aus der Opferposition.

Schön, dass du schon weitergekommen bist an dem Punkt, Begonie! Ich hab da für meinen Teil doch noch mal ne dysfunktionale Runde gedreht.

Zitat von Begonie:

Die eigenen Abgründe sind doch oft bemerkenswert, wenn man sie im Nachhinein ansieht.

Begonie


Oh ja. Und: die eigenen Abgründe sind das, was am wichtigsten und am schwersten anzugucken ist.

18.11.2019 13:05 • x 1 #138


B
Zitat von latraviata:
Ich hab da für meinen Teil doch noch mal ne dysfunktionale Runde gedreht.


Was glaubst Du, wie alt ich werden musste, bis ich endlich mal gesehen habe, dass bei mir was nicht stimmt. Erst nachdem ich zig Mal auf die Nase gefallen war mit unerwiderter Zuneigung bzw. Zuneigung, die ich boykottieren musste, weil ich es anders nicht konnte, kam es mir doch seltsam vor, dass ich gewisse Wiederholungen fest stellte. Nach einem Besuch beim Psychologen wurde einiges klarer. Ich war ein Wiederholungstäter, weil mich meine gequälte Seele auf die Reise schickte, kategorisch in merkwürdige Beziehungen, die nichts wurden. Die Aufforderung dahinter war, schau bitte da mal hin, Du läufst gegen eine Wand und ich leide. Schau mich an, nimmt mich zur Kenntnis, kümmere Dich um mich, verdammt noch mal! Wie oft soll ich Dir noch einen schicken, der nichts ist, ehe Du kapierst, dass die Ursache in Dir liegt?

Ab da stellte ich einen Bezug zu mir fest und dachte immer wieder mal nach. Nicht angestrengt, ich ließ einfach die Gedanken fließen, die dann auch Gefühle hervor riefen. Vieles fand ich traurig, dabei hatte ich doch viel Glück im Leben gehabt, ein gutes Elternhaus, tolle Großeltern, keine existenziellen Probleme. Aber manches lag doch im Argen und hinterließ seine Spuren.
Und einmal stieß mich das Leben vor den Kopf durch einen Zufall.

Wir hatten 40 cm Wasser im Keller und ich räumte auf und putzte. In einem alten Schreibitsch lag ein Bündel Briefe, alte Briefe von meiner Mutter an meinen Vater aus der Zeit als sie noch nicht verheiratet waren. Ich hatte die durchnässten Briefe zum Trocknen ausgelegt und würde sie meinem Vater geben. Einige las ich. Es war erschütternd, weil ich mich darin wieder erkannte. Ich war ja genauso in meinem Verhalten gegenüber Männern wie sie! Dabei wollte ich das niemals. Aber es war so. Ich hatte Beziehungsmuster, ja ganze Gefühlswelten übernommen, abgeschaut und lebte sie nach. Wie ein Klon!
Irgendwie zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich war doch ein eigener Mensch, oder doch nicht?
Traurige Erkenntnis: wir übernehmen mehr als uns lieb ist.

Solche Erkenntnisse, die mit der Brechstange kommen, sind aber auch hilfreich. Man ist bei sich und schaut sich im Spiegel an. Nicht angenehm, aber hilfreich. Es hilft nichts, wir müssen mit dem klar kommen, was da ist und auch das, was uns beschädigt hat, annehmen und integrieren.
Ab da ging es doch immer besser.

Ich wurde selbstbewusster, sicherer, traute mir mehr zu und behielt meinen Humor. Mein Selbstgefühl, das immer unterentwickelt war, wuchs und damit fühlte ich mich viel wohler und ließ mich nicht mehr so leicht verunsichern. Ich lernte, dass ich so gut bin wie Andere und schaute nicht mehr nur auf das Negative in mir.
Meine Träume von dem edlen Ritter auf dem Ross, der mich und mein Leben retten würde, sind verschwunden. Einfach weg. Ich schaue mir die Männer anders an, kritischer und nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Diesen einen, der der allein Richtige ist, gibt es nicht, er ist ein Hirngespinst, eine Idealvorstellung, die in der Realität scheitert. Es gibt Männer, mit denen man was anfangen kann, aber auch die sind selten.
Ich gebe nichts mehr auf Worte, sie zählen nicht und sind unwichtig. Früher hielt ich mich daran fest (aber er hatte doch gesagt, dass ...!), heute nicht mehr. Das Verhalten zählt. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit sind wichtig, aber relativ selten.
Ich hatte Glück, ich hatte eine Beziehung, die mir Raum zum Wachsen gab. Und damit lief auch die Beziehung besser.

Es wäre schön, wenn ich das vor 20 Jahren durchlebt hätte, aber damals war die Zeit dafür offenbar noch nicht reif. Besser spät als nie. Manchmal muss man eben ein paar Runden drehen, ehe man bei sich anfängt.

Zitat von latraviata:
Und: die eigenen Abgründe sind das, was am wichtigsten und am schwersten anzugucken ist.

Daher machen sich die meisten Menschen auch immer am liebsten Gedanken über Andere. Über den Ex oder den untauglichen Partner, der zerpflückt, hinterfragt und analysiert wird bis zum letzten Atom. Das tut allemal weniger weh, als seine Anteile, die zum Scheitern beitragen, anzuschauen.

19.11.2019 10:23 • x 4 #139


B
@Begonie

Wow ...... ich finde mich in jedem Satz wieder.

19.11.2019 12:48 • #140


B
Danke!
War eine harte Schule für mich damals, mich mit dem allen anzuschauen.
Zerplatzte Illusionen, vor denen ich stand, seelische Abhängigkeit von einem Mann, der so toll ja nie gewesen war, wie ich mir eingebildet hatte, mein Lebenstraum, ja mein Lebensinhalt war auf einmal weg. Und dann noch die Erkenntnisse, dass ich mich selbst gequält hatte und mich hatte quälen lassen von ihm, denn er hatte mich ín der Hand. Und dann noch zu sehen, dass ich vorging wie meine Mutter Ende der 50iger Jahre. Oh Mann, das war so eine Schmach.

Gott sei Dank bin ich weg von dem allen, aber natürlich sind diese Dinge immer noch in mir angelegt. Aber ich hoffe, dass ich jetzt einfach besser damit umgehen kann, weil ich irgendwann doch gescheiter wurde. Gerade fällt es mir auf, wir müssen scheitern, damit wir gescheiter werden. Scheint sich um die gleich Wortwurzel zu handeln!
Und es ist ja auch wahr. Wir lernen nur aus Krisen, aus Scheitern heraus, daher muss da jeder im Leben durch.

Aber ich denke, mir geht es wie Dir: die Grundierung ist noch ganz okay

Begonie

20.11.2019 11:15 • x 3 #141




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