Zitat von latraviata: Ich hab da für meinen Teil doch noch mal ne dysfunktionale Runde gedreht.
Was glaubst Du, wie alt ich werden musste, bis ich endlich mal gesehen habe, dass bei mir was nicht stimmt. Erst nachdem ich zig Mal auf die Nase gefallen war mit unerwiderter Zuneigung bzw. Zuneigung, die ich boykottieren musste, weil ich es anders nicht konnte, kam es mir doch seltsam vor, dass ich gewisse Wiederholungen fest stellte. Nach einem Besuch beim Psychologen wurde einiges klarer. Ich war ein Wiederholungstäter, weil mich meine gequälte Seele auf die Reise schickte, kategorisch in merkwürdige Beziehungen, die nichts wurden. Die Aufforderung dahinter war, schau bitte da mal hin, Du läufst gegen eine Wand und ich leide. Schau mich an, nimmt mich zur Kenntnis, kümmere Dich um mich, verdammt noch mal! Wie oft soll ich Dir noch einen schicken, der nichts ist, ehe Du kapierst, dass die Ursache in Dir liegt?
Ab da stellte ich einen Bezug zu mir fest und dachte immer wieder mal nach. Nicht angestrengt, ich ließ einfach die Gedanken fließen, die dann auch Gefühle hervor riefen. Vieles fand ich traurig, dabei hatte ich doch viel Glück im Leben gehabt, ein gutes Elternhaus, tolle Großeltern, keine existenziellen Probleme. Aber manches lag doch im Argen und hinterließ seine Spuren.
Und einmal stieß mich das Leben vor den Kopf durch einen Zufall.
Wir hatten 40 cm Wasser im Keller und ich räumte auf und putzte. In einem alten Schreibitsch lag ein Bündel Briefe, alte Briefe von meiner Mutter an meinen Vater aus der Zeit als sie noch nicht verheiratet waren. Ich hatte die durchnässten Briefe zum Trocknen ausgelegt und würde sie meinem Vater geben. Einige las ich. Es war erschütternd, weil ich mich darin wieder erkannte. Ich war ja genauso in meinem Verhalten gegenüber Männern wie sie! Dabei wollte ich das niemals. Aber es war so. Ich hatte Beziehungsmuster, ja ganze Gefühlswelten übernommen, abgeschaut und lebte sie nach. Wie ein Klon!
Irgendwie zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich war doch ein eigener Mensch, oder doch nicht?
Traurige Erkenntnis: wir übernehmen mehr als uns lieb ist.
Solche Erkenntnisse, die mit der Brechstange kommen, sind aber auch hilfreich. Man ist bei sich und schaut sich im Spiegel an. Nicht angenehm, aber hilfreich. Es hilft nichts, wir müssen mit dem klar kommen, was da ist und auch das, was uns beschädigt hat, annehmen und integrieren.
Ab da ging es doch immer besser.
Ich wurde selbstbewusster, sicherer, traute mir mehr zu und behielt meinen Humor. Mein Selbstgefühl, das immer unterentwickelt war, wuchs und damit fühlte ich mich viel wohler und ließ mich nicht mehr so leicht verunsichern. Ich lernte, dass ich so gut bin wie Andere und schaute nicht mehr nur auf das Negative in mir.
Meine Träume von dem edlen Ritter auf dem Ross, der mich und mein Leben retten würde, sind verschwunden. Einfach weg. Ich schaue mir die Männer anders an, kritischer und nicht mehr so leicht zu beeindrucken. Diesen einen, der der allein Richtige ist, gibt es nicht, er ist ein Hirngespinst, eine Idealvorstellung, die in der Realität scheitert. Es gibt Männer, mit denen man was anfangen kann, aber auch die sind selten.
Ich gebe nichts mehr auf Worte, sie zählen nicht und sind unwichtig. Früher hielt ich mich daran fest (aber er hatte doch gesagt, dass ...!), heute nicht mehr. Das Verhalten zählt. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit sind wichtig, aber relativ selten.
Ich hatte Glück, ich hatte eine Beziehung, die mir Raum zum Wachsen gab. Und damit lief auch die Beziehung besser.
Es wäre schön, wenn ich das vor 20 Jahren durchlebt hätte, aber damals war die Zeit dafür offenbar noch nicht reif. Besser spät als nie. Manchmal muss man eben ein paar Runden drehen, ehe man bei sich anfängt.
Zitat von latraviata:Und: die eigenen Abgründe sind das, was am wichtigsten und am schwersten anzugucken ist.
Daher machen sich die meisten Menschen auch immer am liebsten Gedanken über Andere. Über den Ex oder den untauglichen Partner, der zerpflückt, hinterfragt und analysiert wird bis zum letzten Atom. Das tut allemal weniger weh, als seine Anteile, die zum Scheitern beitragen, anzuschauen.